Am heutigen Tag vor genau 145 Jahren erlangte Bulgarien seine Freiheit wieder. Am 3. März des Jahres 1878 wurde der Vorfriedensvertrag von San Stefano zwischen Russland und dem Osmanischen Reich unterzeichnet, der einen weiteren russisch-türkischen Krieg beendete, der sich für uns Bulgaren als ein Befreiungskrieg erwies. Bulgarien tauchte wieder als Staat auf den Karten Europas auf, auch wenn es noch im gleichen Jahr auf dem Berliner Kongress in Teile zerrissen wurde: Das heutige Nordbulgarien mit dem Gebiet von Sofia sollte nach den Kongressbeschlüssen ein autonomes und tributpflichtiges, also ein türkisches Lehnsfürstentum bilden. Südbulgarien sollte unter der Bezeichnung Ostrumelien eine von der Hohen Pforte halbabhängige Provinz mit ausgedehnter administrativer Autonomie bleiben. Der dritte Teil Bulgariens von San Stefano, also das ganze Mazedonien, wurde wieder der direkten und uneingeschränkten Autorität des Sultans unterstellt. Faktisch blieb nur ein Teil des bulgarischen Volkes mit einem eigenen, halbwegs unabhängigen Staatswesen frei.
Obwohl es nach fünf Jahrhunderten der Fremdherrschaft eines der am längsten erwarteten Ereignisse in unserer Geschichte ist und die Verwirklichung eines unserer nationalen Ideale – der Freiheit, markiert, wird es heute von den Bulgaren unterschiedlich aufgefasst und verursacht Kontroversen.
„Ich habe viel über den 3. März nachgedacht. Aber dieses Datum, so einigend es für uns als Volk und Staat ist, die auf der politischen Karte Europas wieder zurückkehrten, es ist auch spaltend, denn bis heute hat sich diese nationale Vereinigung, für die alle Revolutionäre und einfachen Bürger gewirkt haben, nicht so ereignet, wie sie es sich vorgestellt hatten“, sagte der Musiker Christian Iwanow in einem Gespräch mit Joan Kolew von Radio Bulgarien. Sein Interesse an der bulgarischen Geschichte wurde vor Jahren durch unsere heimische Folklore und unsere Volkstänze geweckt, als er in Schottland lebte und Musik und Psychologie studierte.
Laut Christian kann die Spaltung in „Phile“ und „Phobe“, die in unserer Gesellschaft weit über historische Probleme hinausgeht, überwunden werden. Gefragt sind kritisches Denken und die Fähigkeit, zwischen zuverlässigen Informationen und Fehlinformationen zu unterscheiden.
In der digitalen Welt ist das eine schwierige Aufgabe, aber immer noch möglich. Und Christian hat eine Mission für sich entdeckt: Zusammen mit Gleichgesinnten arbeitet er am Videoprojekt „Bukwar“ (zu Deutsch „Abecedarium“), in dem verschiedene Ereignisse, Fakten und Theorien im Zusammenhang mit der bulgarischen Geschichte und den Stereotypen interpretiert werden sollen.
Die Autoren sind Bulgaren, die aus dem Ausland zurückgekehrt sind, und vom ersten neuzeitlichen bulgarischen Lehrbuch, der Fibel (Abecedarium) von Petar Beron, inspiriert wurden. Zwar hat die Serie noch keine bestimmte Anzahl von Folgen, aber ihr Ziel ist klar – die Vorstellung aus der Welt zu schaffen, die sich im Laufe der Zeit verhärtet hat, dass die Bulgaren eine Projektion des berühmten Literaturhelden von Aleko Konstantinow - Baj Ganjo, sind, der eine Sammelfigur all der negativen Charakterzüge der sich modernisierenden Bulgaren ist.
„Es mag Menschen geben, die eher geneigt sind, die Bulgaren als „Baj Ganjo“ zu identifizieren. Es gibt aber auch Ausländer, die unser Land auf dem Weg nach Istanbul durchquert haben und eine völlig andere Realität beschrieben haben. Bei ihren Reisen durch unser Land waren sie vor allem auf die Gastfreundschaft und Hilfe der Menschen in den Dörfern angewiesen. In ihren Tagebüchern haben sie die Bulgaren als saubere, fleißige und gastfreundliche Menschen beschrieben, die die Reisenden gern bei sich aufgenommen haben und sie in ihren sauberen Häusern bewirteten. Unser Ziel ist es, einen Teil dieser Dokumente und beide Standpunkte vorzustellen und die Beurteilung dem Publikum zu überlassen“, erklären die jungen Patrioten und hoffen, dass historische Dokumente und Bücher einen wichtigeren Platz im Leben der jungen Bulgaren einnehmen werden, die derzeit von ihren Tablets und Smartphons nicht wegkommen.
Dem Team ist ferner wichtig, dem Publikum genügend Fakten zu vermitteln, damit es mit anderen Augen auf den Heimatort, die Werte und das Volksgedächtnis schaut, die die bulgarische Nation über die Jahrtausende bis heute bewahrt hat.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Fotos: Facebook / Christian Ivanov
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