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Eine Regierung mit einem zweiten Mandat – vielleicht, aber unter großem Vorbehalt

Analysten: Der Präsident handelt am Rande seiner verfassungsmäßigen Befugnisse

Foto: BGNES

Der politische Rebus, in dem sich Bulgarien befindet, wird immer undurchschaubarer und der Ausweg aus der seit zwei Jahren andauernden politischen Krise scheint wieder in die Ferne zu rücken. Die Aufzeichnung vom 21. Mai des Nationalrats der Partei „Wir setzen die Veränderung fort“ durch den Abgeordneten Radostin Wassilew hat noch mehr Öl ins Feuer gegossen. Denn darin wird der Wunsch der Partei deutlich, Personalrochaden in den  Sicherheitsdiensten und der Staatsverwaltung vorzunehmen und mit Hilfe der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, einige der Anforderungen für den Beitritt unseres Landes zu Schengen und zur Eurozone zu umgehen. Erwartungsgemäß sorgten diese Informationen für heftige Reaktionen unter führenden Politikern. Am extremsten fiel die Reaktion von Kostadin Kostadinow aus, dem Vorsitzenden der Partei „Wasraschdane. Er verkündete, dass die Koalition „Wir setzen die Veränderung fort–Demokratisches Bulgarien“ (PP-DB) und ihre Führer wegen Hochverrats ins Gefängnis gesteckt werden sollten. Präsident Rumen Radew reagierte ebenfalls sehr scharf bei der Vergabe des zweiten Sondierungsmandats zur Bildung einer regulären Regierung im Rahmen der 49. Volksversammlung. Das Staatsoberhaupt traf sich mit den Vertretern der zweitgrößten politischen Formation im Parlament, der PP-DB, und forderte sie bei der Übergabe der Mappe mit dem Mandat an ihren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, Akademiemitglied Nikolaj Denkow auf, die Zweckmäßigkeit der Umsetzung dieses Mandats gründlich zu überdenken. Seinen Worten zufolge sei dieses Mandat „bereits diskreditiert“.

„Ich habe noch nie eine Situation erlebt, in der der Präsident ein Mandat mit Widerwillen, ja sogar mit Abscheu vergibt. Rumen Radew hat das Mandat Leuten erteilt, die er offensichtlich nicht mag. Der Präsident, den wir im Moment haben, ist schädlich für Bulgarien“, sagte die politische Analystin und Bürgeraktivistin Wessislawa Tantschewa gegenüber dem BNR.

Wessislawa Tantschewa

Ihrer Meinung nach ist das Verhalten des Staatschefs an der Grenze seiner verfassungsmäßigen Befugnisse:

„Ich rufe die Parteien im Parlament auf, diesem Verhalten nicht tatenlos zuzusehen. Wir wollen, dass ein Verfahren zur Absetzung des Präsidenten eingeleitet wird. Egal ob es durchkommt oder nicht, es ist wichtig, dass das Thema auf die Tagesordnung kommt“, forderte Tantschewa.

„Ein hässlicher Moment in der Geschichte der bulgarischen Demokratie.“ So definierte der Politikwissenschaftler Swetoslaw Malinow die Vergabe des Regierungsauftrags an PP-DB.

Swetoslaw Malinow

„Ich erwarte die Wiederaufnahme der Verhandlungen und ein reguläres Kabinett in drei Tagen. Das ist eine Situation, die nicht länger aufgeschoben werden darf. Die Rede des Präsidenten ist ein sehr schlechtes Zeichen für Europa. Sie verursacht einen schweren Imageverlust. Er hat außerdem gesagt, dass er nicht will, dass seine Dienste angetastet werden... Das ist eine sehr lang durchdachte Rede“, meint Swetoslaw Malinow.

Malinow forderte Änderungen in der Zusammensetzung des Kabinettsentwurfs „Denkow“ und wies darauf hin, dass die Verantwortung der PP-DB und der GERB-SDS gegenüber ihren Wählern unglaublich zunimmt.

„Der Präsident sollte kooperieren und jener Vermittler sein, der alles daran setzt, dass Bulgarien eine reguläre Regierung hat, egal ob es sich dabei um das erste, zweite oder dritte Mandat handelt“, sagte der Abgeordnete der PP-DB Jawor Boschankow. „Dass Radew auf eine weitere Übergangsregierung hinarbeitet, ist kein Geheimnis, aber er hat es bisher nie so direkt bekundet. Für ihn scheint die Verfassung eine Art lästiges Dekor zu sein. Die Angriffe der Präsidentschaft haben nicht aufgehört, das aber ist ihr Höhepunkt“, kommentierte Jawor Boschankow die Erteilung des zweiten Mandats an die PP-DB.

Jawor Boschankow

Nach dem Einfrieren der Gespräche zwischen den Koalitionen GERB-SDS und PP-DB ist es wichtig zu sehen, ob diese Gespräche nach der Übergabe des Mandats auf zivilisierte Art und Weise formalisiert werden können, so der Politikwissenschaftler Ljubomir Stefanow.

„Die einzige taugliche Option war von Anfang an ein Expertenkabinett. Wenn Nikolaj Denkow und Maria Gabriel die Gespräche in diese Richtung fortsetzen und alle anderen ihr Ego zurückstellen können, wäre dies die vernünftigste Option“, sagte Ljubomir Stefanow.

Ljubomir Stefanow

Was die Zusammensetzung der Regierung betrifft, ist der Politikwissenschaftler der Meinung, dass dort weder politisch anonyme Personen noch solche aus den vordersten Reihen im Plenum hineingehören.

Und hier ein Einblick, was die Wähler über das politische Gefeilsche um die Bildung einer regulären Regierung denken:„Wir steuern auf neue Wahlen zu, weil klar ist, dass es keine Möglichkeit gibt, eine Koalition zwischen GERB und „Wir setzen die Veränderung fort“ zu erreichen“, meint ein Befragter.

Und ein anderer fügte hinzu, dass es wirklich besser sei, zu Neuwahlen zu gehen, weil er niemandem aus der derzeitigen Volksversammlung traue.

„Die Situation ist so, dass ich bei den nächsten Wahlen kein anderes Kräfteverhältnis sehe. Früher oder später werden sie sich einigen müssen, denn alles andere bedeutet endlose Neuwahlen und darin sehe ich keinen Sinn.“

Zusammengestellt von: Joan Kolev

Übersetzung: Rossiza Radulowa




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