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Gorjani wehren sich lange vor Tschechen und Ungarn gegen kommunistisches Regime

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Waffen und persönliche Gegenstände der Kämpfer der Gorjani-Scharen und ein Denkmal für den getöteten Antikommunisten im Dorf Zalapiza bei Plowdiw.
Foto: bulgaria1944-1989.eu

Bulgarien hat sich ebenfalls gegen das aufgezwungene kommunistische Regime gewehrt. Mehr noch – als erstes Land stellte es sich mit der Waffe in der Hand dem stalinistischen Regierungsmodell entgegen, das uns nach der Okkupation der Roten Armee und durch die gewaltsame Absetzung der legitimen Regierung aufgezwungen wurde. Das geschah lange vor dem Aufstand in Ungarn sowie dem ersten Hauch des Prager Frühlings. Jedoch wird die heldenmütige Tat der bulgarischen Gorjani bis heute verschwiegen. Sie wird weder in den Geschichtsbüchern erwähnt, noch reiht sie sich in die Phalanx denkwürdiger Ereignisse ein, noch werden Fahnen gehisst für die Bürger gegen die Scheußlichkeiten des Regimes. Heute ist es warm unter dem Schaffell, wohlig und schläfrig. Früher oder später kommt jedoch der Tag des Jüngsten Gerichts, an dem die Wahrheit die Augen öffnen und nach Vergeltung  rufen wird.

Герасим Тодоров"Ich lasse keine Gnade mehr walten. Wie ihr mir, so ich euch." Mit diesen Worten warnte der Kommandant des 6. Pirin-Trupps Gerasim Todorow in einem Schreiben die Kommunisten aus dem Dorf Wlahi. Das Volk werde Mord, Raub und Gräueltaten der roten Regierung nicht länger dulden, heißt es weiter. 1947 gründet er in Pirin-Mazedonien eine illegale Gruppe, die Aktionen gegen die Zwangsmazedonisierung und die Politik der Bulgarischen Kommunistischen Partei unternimmt. Der legendäre Gerasim ist jedoch kein Einzelfall - von 1944 bis 1955 kämpfen landesweit rund 600 Scharen. Da sie sich in den Wäldern verstecken, nennen sie sich Gorjani (bulg. Gora – Wald).

Снимка"Die meisten von ihnen waren enteignete Bauern", erzählt Atanas Kirjakow, Autor des einzigen Dokumentarfilms über die Gorjani. "Den Bauern ihren Boden wegzunehmen ist eines der größten Verbrechen des Kommunismus. Aus der Literatur wissen wir, dass Brüder wegen einem Stückchen Lands ihre Brüder umgebracht haben und man seine Kinder mit dem Verkauf der Erträge von eins-zwei Äckern in die Schule schicken konnte."

Da alle Dorfbewohner unter der gewaltsamen Landenteignung leiden, helfen die Einheimischen den Gorjani in den Wäldern. Sie versorgen sie mit Lebensmitteln, gewähren ihnen Obdach und Schutz. Die Antwort der Regierung ist bezeichnend – einer achtzigköpfigen Schar im Sliwen-Balkan stellt sie etwa eine Armee von 30.000 Mann entgegen.

Aus den Dokumenten ist die Angst und Panik der Regierung ersichtlich. Unschuldige Menschen werden vorsätzlich diskreditiert, ständig ändert sie die Art des Vorgehens, um die Leute aus der Welt zu schaffen. Die Dokumente sind Grauen erregend. Sie sind grausamer, als die Berichte überlebender Gorjani“, erinnert sich der Filmregisseur an das, was er in den Archiven der Staatssicherheit gelesen hat. „Das System baute auf Angst, auf unvorstellbare Heuchelei und eine `geniale` jesuitische Taktik – die Menschen zu einer Herde zu machen. Wir lebten in einem grauen Staat  – die Gebäude waren grau, die Kleidung war grau, die Geister sollten grau sein und alles nachbeten, was eine Gruppe Leute, die wie Krösusse über alles verfügten, uns aufzwängen wollte, obwohl sie auch unter sich Angst hatten. Es reichte ein Wort, eine Anspielung...

Die Bilanz ist unerbittlich – die meisten Gorjani kommen bei den Gefechten ums Leben, andere werden zum Tode verurteilt oder in die Konzentrationslager und Gefängnisse verbannt. Immer mehr Menschen begreifen, dass ihr Kampf aussichtslos ist, die versprochene Hilfe aus dem Westen erweist sich als leere Versprechung. Verrat kommt an die Tagesordnung, was so typisch für unsere Geschichte ist. Allerdings gibt es dafür eine Erklärung – das Regime schleust eigene Leute unter die Gorjani, um ihre Einigkeit und ihren Siegeswillen zu brechen. Heute ist die Gorjani-Bewegung drauf und dran, erstmals offizielle Anerkennung zu erfahren. Jetzt sollen dreißig Kommandeure posthum vom Staatspräsidenten mit dem Orden für zivile Verdienste geehrt werden. Ist das jedoch ausreichend, um ihr helles Beispiel vollständig zu rehabilitieren? Hier die Meinung von Nikolaj Pankow, dessen Vater Panko Pankow die Gorjani im Sliwen-Balkan mit Waffen versorgte.

Das Denkmal der getöteten Gorjani in Sliwen. Foto: BGNES
Das ist eine löbliche Initiative. Leider sind die Namen der Märtyrer unbekannt, ihre Gebeine verstreut“, bedauert Nikolaj Pankow. „Viele Menschen einschließlich ihrer Nachkommen hüllen sich bis heute in Schweigen. Wie mein Vater, der das Geheimnis gemeinsam mit anderen Überlebenden mit ins Grab genommen hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn man endlich über die Epopöe der Gorjani sprechen würde, mit glaubwürdigen Fakten und Hochachtung vor den Menschen, die zu den Waffen griffen, um den Grund und Boden ihrer Familien zu verteidigen. Der Kommunismus hat vor nichts und niemandem haltgemacht. Deshalb schulden wir den Gorjani Angedenken, denn sie waren die Ersten, die sich mit der Waffe in der Hand zur Wehr setzten – lange vor den Ereignissen in Tschechien und Ungarn. Hoffentlich kommt ihre Wahrheit irgendwann ans Tageslicht.

Übersetzung: Christine Christov



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