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Das Scheitern der Istanbul-Konvention in Bulgarien und seine Folgen

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Foto: BGNES

Die bulgarische Regierung hat diese Woche beschlossen, ihren Vorschlag für die Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, als Istanbul-Konvention bekannt, zurückzuziehen. Das bulgarische Parlament verwarf die Möglichkeit, ein Referendum zu dieser Frage durchzuführen, so wie das von den Sozialisten gefordert wurde. Binnen weniger Stunden wurde ein gesellschaftlich wichtiges Thema, das drei Monate lang für dramatische Diskussionen in der Öffentlichkeit und innerhalb der Regierungskoalition sorgte, aus dem politischen Leben des Landes verbannt.

Zugegebenermaßen ist eine solche Wende keine Überraschung. Dass der Fokus der Medien von der Istanbul-Konvention sehr schnell auf ein anderes, sehr brenzliges Thema, den Verkauf der Tochtergesellschaft des Energieversorgers CEZ, übersprang, auch nicht. Trotzdem lohnt es sich, die Umstände des Scheiterns der Istanbul-Konvention näher zu betrachten.

Der Premierminister Bojko Borissow erklärte den Verzicht auf die Ratifizierung der Istanbul-Konvention mit der Notwendigkeit, dass die Regierungspartei GERB die heftigen Reaktionen seiner Koalitionspartner, der Bulgarischen orthodoxen Kirche, des Muftiats und die Ängste der Öffentlichkeit, hervorgerufen durch in der Konvention enthaltenen Texten bezüglich der Geschlechter, berücksichtigen musste. Es scheint auf den ersten Blick, dass die Regierungspartei der Sentenz Vox populi vox Dei gefolgt ist, doch ganz so ist es nicht.

Die so genannten Patrioten hatten gewarnt, dass wenn GERB weiterhin auf die Ratifizierung besteht, dies die Stabilität der Koalitionsregierung in Frage stellen würde. So betrachtet hat sich der große Koalitionspartner dem kleinen Koalitionspartner gebeugt. GERB wollte, wie es der Premier selbst zugab, die Negativa aus der eventuellen Unterzeichnung der Konvention nicht allein tragen.

Die nationalistische Vereinigung "Vereinigte Patrioten" begrüßte den Entschluss von GERB. Der Verzicht auf die Ratifizierung räumte nicht nur die Ängste vor einer Destabilisierung der Regierung aus dem Weg, sondern auch vor vorgezogenen Wahlen, die die zu den Vereinigten Patrioten gehörende Partei "Attacke" nicht ausschloss. Der Verzicht auf die Ratifizierung minderte mehr oder weniger auch die Gefahr vor Erschütterungen innerhalb der "Vereinigten Patrioten".

Die Parteispitze der Innermazedonischen Revolutionären Organisation (VMRO) und "Attacke" haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie mit dem dritten Partner in der nationalistischen Koalition, der Nationalen Front für die Rettung Bulgariens (NFSB), bezüglich der Ratifizierung der Instanbul-Konvention Differenzen haben. Sie haben befürchtet, dass wenn es zur Abstimmung der Konvention kommt, die Abgeordneten der NFSB ihre Abgeordneten zurückziehen und es zur Spaltung in den Vereinten Patrioten kommt. Zur Abstimmung kam es nicht und so kann behauptet werden, dass genau diese Tatsache die Einheit der nationalistischen Formation gerettet hat. Das gleiche gilt aber nicht für die BSP.

Das Parlament verwarf den Vorschlag der Sozialisten, zur Istanbul-Konvention ein Referendum durchzuführen mit 121 Stimmen von GERB, der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), einem Teil der Vereinten Patrioten und "Wille". 23 Abgeordnete der "Vereinigten Patrioten" und von "Wille" enthielten sich der Stimme. Dafür stimmten nur die Abgeordneten der BSP. Diese Stimmenverteilung ist ein deutlicher Hinweis, dass die größte Oppositionspartei, die BSP, in weitem Maße isoliert ist, selbst innerhalb der Opposition. Zur Frage der Istanbul-Konvention ist sie auch von der Partei der europäischen Sozialisten isoliert, weil sie zunächst für die Konvention war, jetzt aber auf nationalem Niveau absolut dagegen ist.

Letztendlich konnte das Dokument in Bulgarien nicht ratifiziert werden. In bulgarischen Medien veröffentlichten Informationen zufolge soll die Istanbul-Konvention von 26 Staaten unterzeichnet worden sein. 2 davon wollen ihre Unterschriften jedoch wieder zurückziehen. 17 Staaten haben sie auf Grund von internen Debatten nicht ratifiziert. 7 EU-Mitgliedsstaaten finden darin strittige Texte. Dem Meinungsforschungsinstitut Gallup zufolge haben bei einer Befragung Mitte Februar 58% der Bulgaren sich gegen die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ausgesprochen. Für die Ratifizierung waren nur 19% der Befragten, 23% waren sich unsicher.

Übersetzung: Georgetta Janewa



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