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Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen am 2. Oktober

In Bulgarien zeichnet sich erneut ein politischer Kreuzweg ab

Foto: pexels

Nach den jüngsten Wahlen steht Bulgarien erneut vor einer Gleichung mit vielen Unbekannten. Wird es eine Regierung geben? Wird sie stabil sein? Wird sie den Haltungen der Bulgaren entsprechen?

Eines ist sicher, es muss eine Regierung geben und sie muss funktionieren. Im breiten Spektrum von politischen Debatten, Wahlversprechen und Drohungen versäumten die Politiker einmal mehr, einen Bezug zum Wähler herzustellen. Es scheint, als ob sie vergessen hätten, sie zu fragen, wie ihre Erwartungen an die zukünftige Regierung aussehen? Es verwundert nicht, dass eine der Parteien, die bei den vorangegangenen Wahlen nur knapp die Wahlhürde schaffte („Wasraschdane“), nun als vierte politische Kraft auftaucht. Wie das? Weil sie den Puls eines großen Teils der Bulgaren richtig ertastete, die der Autokratie, Korruption, Covid-Beschränkungen und Armut überdrüssig sind. Zudem nahm die Wut vieler zu, die sich wieder einmal für ein Straf-Votum entschieden. Aus diesen Gründen sind die Ergebnisse der jüngsten Wahlen erneut entmutigend.

Verantwortung und Emotionen verquicken sich und es ist sehr schwierig, ein Gleichgewicht zwischen beiden zu finden“, bemerkte in einem Interview für den BNR Prof. Iwajlo Snepolski, Philosoph, Kulturwissenschaftler, Kunstkritiker, Universitätsprofessor und ehemaliger Kulturminister. In Erwartung eines neuen „Messias“, der unser Land aus dem politischen Sumpf ziehen werde, verloren die Bulgaren das Vertrauen in ihre Politiker:

Prof. Iwajlo Snepolski

„Die Gesellschaft erwartete eine Veränderung in der politischen Kultur“, sagte der Professor. „Es sollte etwas zivilisierter zugehen, ohne Schlammschlachten und Beleidigungen. Das ist jedoch nicht geschehen, weil die Hälfte der Parteien erst kürzlich gegründet wurde und ihr Hauptanliegen darin besteht, eine gewisse Identität zu erlangen. Sie suchen sie entlang der Linie zwischen Abgrenzung und Verdammung. Damit einher geht ein Mangel an Leitungserfahrungen und am täglichen Umgang mit den Einstellungen und Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Das ist ein großes Hindernis. Diejenigen, die für eine gewisse Identität kämpfen, stehen meist hinter messianischen Parolen wie „Wir sind die Guten“ und „Wir wollen das Böse besiegen“. Wenn wir die Dinge chronologisch betrachten, werden wir sehen, dass solche Formationen periodisch auftauchen. Und das verhindert das Entstehen eines echten politischen Raums.“

Die Frage ist, ob die Politiker auch nach den neuesten Wahlen erkannt haben, dass die Bulgaren die Vereinigung im Namen Bulgariens wollen, das eine stabile Regierung braucht. Gerade jetzt, unter den Bedingungen einer globalen wirtschaftlichen und politischen Krise, darf man keine Zeit mit Kleinigkeiten, politischen Streitereien und „roten Linien“ vergeuden, die einige Parteien weiterhin ziehen.

Obwohl es zu einer Regierungsbildung kommen wird, sind die meisten Analysten mit ihren Prognosen eher zurückhaltend. „Ich erwarte ein reguläres Kabinett, aber ich bin nicht zuversichtlich, dass es eine volle Amtszeit im Amt bleibt“, sagte nach den Wahlen Prof. Ognjan Gerdschikow in einem Gespräch für den Fernsehsender bTV. „Leider ist es sehr wahrscheinlich, dass die Vorbereitungen für die nächsten Wahlen im Frühjahr beginnen werden.“ Der Grund ist mehr als prosaisch:

Prof. Ognjan Gerdschikow

„In unserem Land dominiert der Parteiegoismus; er ist stärker als die wahren nationalen Interessen und wird zwangsläufig Erschüttern in der Koalition verursachen“, betonte Gerdschikow. „Die Wähler wollen eine stabile Regierung, aber diese Parteien können kaum lange miteinander aushalten. Hier gehen die Meinungen zwischen Wählern und Gewählte auseinander.“

In Bezug auf den Wahlsieger GERB brachte Prof. Gerdschikow die Hoffnung zum Ausdruck, dass ihr Vorsitzender Bojko Borissow seinen „erstaunlichen politischen Scharfsinn“ zeigen und sagen werde: „Seht! Wir müssen alle für Bulgarien arbeiten und werden einen neutralen Premierminister wählen“. Das würde eine gute Grundlage schaffen, kommentiert Prof. Ognjan Gerschikow.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow




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