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Assen Genow: „Nach den Wahlen werden wir erneut vor Wahlen stehen“

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Foto: BGNES

„Eine Kloaken-Flut“ – so bewertet der Blogger Assen Genow die derzeitige Wahlkampagne. Er bedauert, dass nicht die ernsten gesellschaftsrelevanten Themen aus innen- und außenpolitischer Sicht behandelt werden. Stattdessen geht es um die Herkunft des einen oder anderen Abgeordneten und den Streit zwischen Bojko Borissow und der Journalistin Elena Jontschewa, die um einen der Abgeordnetensitze kämpft. Sie hatte in einer Diskussionsrunde aufgeworfen, dass das von der GERB-Partei ausgearbeitete Programm zur Wohnungssanierung den Steuerzahlern teuer zu stehen kommen werde. In Antwort drauf meinte der ehemalige Premierminister Borissow, dass Jontschewa ihre Auslands-Interviews auf Staatskosten produziert habe. Der Streit wird nun im Gerichtssaal entschieden werden…

Assen Genow ist überzeugt, dass die Wahldebatten in Bulgarien an Qualität gewinnen könnten, wenn die Erfahrungen Großbritanniens und Italiens genutzt und das bezahlte Format der politischen Teilnahmen fallengelassen wird.

Wenn man per Gesetz die bezahlte politische Propaganda, sowohl im Wahlkampf, als auch überhaupt in den Medien, verbieten würde, wäre das sehr förderlich“, meint der Blogger. „So könnten sich an den öffentlichen Diskussionen auch ärmere Parteien beteiligen, von denen man derzeit nur wenig hört, einfach weil sie kein Geld haben. Auch könnte so die Atmosphäre verbessert werden, in denen diese Diskussionsrunden stattfinden. Die Journalisten könnten dann wirklich kritische Fragen stellen und die Konkurrenz zwischen den Parteien wäre dann tatsächlich gegeben.

Welche Themen sollten im Wahlkampf angeschnitten werden, fragten wir weiter den Blogger.

Ich selbst bin eher politisch rechts eingestellt und bin der Meinung, dass sich die Diskussionen um die Grenzen des Staates und ihre Einmischung in die Privatinitiative drehen sollten“, meint Assen Genow. „Derzeit ist es so, dass die EU-Fördergelder und die öffentlichen Aufträge als grundlegende Investitionsquelle angesehen werden. Aus diesem Grund hält der Staat zentral, wie auch kommunal die Zügel des Wirtschaftslebens in den Händen. Und das ist eine wichtige Frage, die ernsthaft überdacht werden muss. Ich bin der Ansicht, dass der Einfluss des Staates auf die Geschäftswelt verringert werden muss. Die Unternehmer werden sich freier fühlen und das wird sich auch auf die Bürger auswirken.“

Sind die Wähler in Bulgarien in der Lage, hinter die Kulisse der Wahlversprechen zu schauen?

Meiner Ansicht nach ist das Gros der bulgarischen Wähler, die am Sonntag artig zu den Urnen gehen und nicht Pilze im Wald sammeln, in gewisser Weise geistig umnachtet, wenn ich das so sagen darf. Sie stimmen meist entgegen der inneren Überzeugung. Es gibt nämlich Mechanismen, die die Bulgaren daran hindern und sie entweder für das kleinere Übel stimmen, oder für die Erhaltung des Status quo.

Breits jetzt schon zeichnet sich ab, dass die Lage nach den vorgezogenen Parlamentswahlen am 26. März keinen Grund zu Optimismus geben wird. Assen Genow meint:

Ich denke, dass sich die Lage von 2013 wiederholen wird, als sich ein Stimmengleichgesicht von 120 zu 120 einstellte und Wolen Siderow von der nationalistischen Partei „Ataka“ die Entscheidung zukam. Bar aller politischen Ansichten wurde eine Regierungsmehrheit zusammengeschustert. Wenn man den Meinungsforschungsagenturen glaubt, wird sich eine ähnliche Situation einstellen und erneut wird es zu ekligen politischen Kompromissen kommen, um eine Regierungsmehrheit zu bilden. Meiner Meinung wird sich ein explosionsgefährliches Gemisch bilden und wir werden unmittelbar nach den Wahlen erneut vor Wahlen stehen. Ich habe das Gefühl, dass es bis Ende des Jahres erneut große Spannungen, Proteste und vorgezogene Wahlen geben wird. Die Parteien werden die Wähler beschwören, es sich im Namen der Stabilität und der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft Bulgariens anders zu überlegen. Gegenüber der derzeitigen Übergangsregierung sind alle kritisch eingestellt, zumal sie eingeschränkte Vollmachten hat. Ich denke aber nicht, dass es ein ernstes Problem ergeben würde, falls Bulgarien erneut von einer Übergangsregierung geleitet wird. Der frühere Staatspräsident Rossen Plewneliew musste ja auch zwei Übergangsregierungen benennen; warum sollte das nun Rumen Radew nicht können?

Übersetzung: Wladimir Wladimirow



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