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Jaworow ist in den Seelen aller Suchenden

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Foto: binar.bg

Unlängst wurde der 140. Jahrestag der Geburt des bulgarischen Dichters und Revolutionärs Pejo Jaworow begangen. Es ist nicht nur sein tragisches Schicksal, das auf sich lenkt - er gehört zu jenen Poeten Bulgariens, dessen Werke weiterhin die Leser begeistern können. „Das Interesse an seiner Person, wie auch an den Details seins Lebens hat in den Jahren keineswegs abgenommen“, bestätigt Iwo Miltenow, Kustode am Museum von Jaworow in Sofia. „Unabhängig davon, dass selbst das Haus, in dem der Poet gelebt hat, vieles durchmachen musste, ist das Interesse ungebändigt, wie auch die Liebe zu ihm und seinem Werk.“

Pejo Jaworow lebte von 1878 bis 1914. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend arbeitete er zunächst als Telegraphist, dann als Bibliothekar und ab 1908 als Dramaturg am Nationaltheater in Sofia. Er schrieb Gedichte und Theaterstücke, gehörte zum Kreis um die bedeutende bürgerliche Zeitschrift „Missal“ (zu Deutsch „Gedanke“) und gilt als Mitbegründer des Symbolismus in der bürgerlichen Literatur in Bulgarien Bis etwa 1903 stand er der sozialistischen Bewegung nahe und gestaltete in seinen Gedichten die gesellschaftlichen Missstände, später verlieh er zunehmend pessimistischen Stimmungen in Versen von visionärer Musikalität poetischen Ausdruck. Sein von Strindberg beeinflusstes dramatisches Werk trug wesentlich zur Entwicklung der bulgarischen Dramatik bei.

Jaworow war jedoch nicht einzig ein Dichter, sondern auch ein Revolutionär. Wie viele seiner Altersgenossen, die in den Jahren der Befreiung Bulgariens von osmanischer Fremdherrschaft geboren wurden, wurde auch Jaworow von den Ideen der Vereinigung Bulgariens beflügelt, das Kraft des Berliner Vertrages von 1878 zerstückelt worden war. Zwar konnten 1885 zwei der Landesteile vereint werden, doch Mazedonien und der Süden Thrakiens blieben unter Fremdherrschaft.

In jener Zeit wurde das nationale Ideal Bulgariens geboren, das auf eine vollständige Vereinigung der Heimat abzielte“, erzählt weiter Iwo Miltenow. „Bereits bei seinem ersten Einsatz mit Mazedonien, als er sich 1902 an der Schar des bulgarischen Revolutionärs Michail Tschakow beteiligte, gab Jaworow die Zeitung „Freiheit oder Tod“ heraus, in dem er seinem stürmischen Geist und Patriotismus freien Lauf ließ. Die Art und Weise, wie er zur Freiheit aufrief, erinnert in gewisser Weise an den Dichter und Revolutionär Christo Botew, der vor der Befreiung Bulgariens den Kampfgeist seiner Landsleute im rumänischen Exil schürte. Der Freiheitsgedanke hatte beide Dichter und Revolutionäre zutiefst bewegt. Jaworow ist also nicht als ein „Nachahmer“ des Werks von Botew zu betrachten. Seine Gedanken waren Teil des Befreiungsgeistes der Bulgaren, der 1912 mit Beginn des Ersten Balkankrieges einen Höhepunkt erlebte.“

Das Leben von Jaworow wurde von tiefen Schicksalsschlägen geprägt – auch in seinem persönlichen Leben. Seine erste große Liebe, Mina Todorowa, starb 1910 an Tuberkulose. Die zweite große Muse des Poeten, Lora Karaweloewa, die er 1912 heiratete, beging im Jahr darauf Selbstmord. Als einer der Gründe für ihre Tat wird seine ausgesprochen große Hingabe gegenüber der mazedonischen Sache angesehen, die die Beziehung überschattete.

Pejo Jaworow (in der Mitte sitzend) als mazedonischer Freischärler. Foto: bg.wikipedia.org

Die Lyrik von Jaworow stellt eine der Gipfelleistungen in der bulgarischen Literatur dar. Literaturkritiker vergleichen ihn gern mit den französischen Schriftstellern Baudelaire, Nerval, Verlaine und Mallarmé aus der Zeit der Romantik und des Symbolismus. Wo sollte man Jaworow einordnen?

Bei der Charakterisierung von Jaworow wird häufig Baudelaire zum Vergleich herangezogen, allein wegen des dramatischen Charakters der Verse“, sagt der Kustode am Museum von Jaworow in Sofia. „Die Eleganz der Form wiederum lässt ihn an Verlaine heranrücken. Doch das ist alles äußerst bedingt. Jaworow selbst gefiel der Symbolist Maurice Maeterlinck, dessen Werke er übersetzte und in der Zeitschrift „Missal“ herausgab. Jaworow ist jedoch keineswegs als ein Epigone des Symbolismus zu verstehen. Seine Dichtung ist ausgesprochen individuell und verzichtet auf fremde Elemente. Sein Werk ist äußerst originell.

Die bulgarische Dichtkunst von Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde stark von der nationalen Befreiungsbewegung beeinflusst. Die jungen Dichtergenerationen begannen sich ihrerseits mit der geistigen Seite des Daseins auseinanderzusetzen, was sie zum Unsichtbaren und Mystischen führte. „Die Thematik wurde tiefgreifender und schwieriger zu erfassen, so dass die stilistischen Instrumente feiner wurden – man nahm sich des Symbolismus an“, analysiert Iwo Miltenow.

Vielleicht ist das der Grund, warum Jaworow den Seelen der Suchenden so nahe steht? Ihnen ist weniger das äußere Erscheinungsbild, als das Wesen der Dinge wichtig. Der Dichter wird zum Philosophen, wie es Nietzsche in seinem Werk „Die Geburt der Tragödie“ beschrieb.

Genau so ist das“, bestätigt Iwo Miltenow, Kustode am Museum von Jaworow in Sofia. „Wir können uns glücklich schätzen, dass wir einen solchen Dichter und Denker besitzen, der einen Jahrhundertschritt in unserer Dichtkunst und dem philosophischen Denken getan hat. Wenn ihn nicht die Schicksalsschläge in einen vorzeitigen Tod getrieben hätten, hätte er sicher sein philosophisches Gedankengut mittels Dramen zum Ausdruck gebracht und dieses Genre in Bulgarien auf Weltniveau gehoben. Heute könnten wir auf ein philosophisches Drama verweisen, zu dem Jaworow durchaus fähig war und das sein Werk abrunden würde.

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



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