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Regierungskrise oder gut durchdachter Schachzug um politische Dividende

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Die Nachricht vom Zerfall der Regierungskoalition in Bulgarien zog wie ein plötzliches Sommergewitter auf und traf die meisten Bulgaren völlig unvorbereitet. Obwohl alle die Zeichen der drohenden Gefahr erkannt hatten, ahnte niemand, dass einer der Koalitionspartner genau in diesem Moment, kurz vor der lang erwarteten Haushaltsaktualisierung, sich erdreisten würde, die Koalition zu verlassen. Aus dem Nichts, unter den Bedingungen einer sich abzeichnenden schweren Wirtschaftskrise, informierte Slawi Trifonow, Führer der Partei „Es gibt ein solches Volk“, dass er „seine Minister zurückzieht und der agonisierenden Koalition ein Ende setzt“. Als Gründe für die Trennung nannte Trifonow die Meinungsverschiedenheiten in der Frage zu Nordmazedonien* und die Tatsache, dass im Land kein Geld mehr vorhanden sei.

Vor seiner Erklärung verließen drei Minister seiner Partei den Ministerrat wegen des „extrem schlechten Haushalts“, der von Vizepremierminister und Finanzminister Assen Wassilew vorgelegt wurde.

Die Reaktion von Premierminister Kyrill Petkow erfolgte umgehend mit offenen Anschuldigungen gegen den Minister für Regionalentwicklung Grosdan Karadzhow, dass er darauf bestanden habe, das Budget für Straßen um weitere 1,8 Milliarden Euro auf die festgelegten 1,1 Milliarden Euro aufzustocken. Dieses Geld sollte an dieselben Unternehmen gezahlt werden, die sich bisher an Korruptionsschemen beteiligt haben, konterte Petkow.

Aus den anschließenden gegenseitigen Vorwürfen auf beiden Seiten wurde deutlich, dass eine Versöhnung im Namen des nationalen Wohls nicht möglich ist.

Einige Experten haben Trifonows Vorgehen als einen geschickten politischen Schachzug bezeichnet, der darauf abzielt, das Rating seiner Partei zu verbessern und bei den nächsten Wahlen bessere Positionen zu erreichen. Ob ihm das gelingt, ist unklar, denn der Premier kündigte an, mit einer Minderheitsregierung weiterregieren zu wollen. Indirekt wandte er sich an die Abgeordneten von „Es gibt ein solches Volk“ (ITN), die „so denken wie die Abgeordneten seiner Partei“.

„Heute ist der Tag, an dem klare Linien gezogen werden müssen. Sie können auf der Seite der Korruption stehen, auf der Seite der Mafia, auf der Seite von Personen, die öffentliche Ressourcen nutzen, um sie in ihre Taschen zu stecken. Oder Sie vertreten die prinzipielle Position, dass jeder Lew abgerechnet werden muss, denn die Menschen sind die Geldgeber. Es ist nicht das Geld des Staates, es ist das Geld von uns allen", unterstrich Kyrill Petkow auf einer außerordentlichen Pressekonferenz zur politischen Lage.

Welche die 12 Abgeordneten sein werden, die die eventuelle Regierung der Minderheit unterstützen werden, bleibt ein Rätsel, denn die ITN ist fest davon überzeugt, dass es keine solchen unter ihnen gebe. Es bleiben die Abgeordneten von GERB, DPS und Wasrazhdane, doch die Trennlinien zwischen ihnen und der Partei „Wir setzen die Veränderung fort“ sind zu krass, um überschritten zu werden. Von Beginn an haben „Wir setzen die Veränderung fort“ kategorisch eine Zusammenarbeit mit GERB oder der DPS abgelehnt. Die Bedingungen für eine Koalitionsbeteiligung von Wasrazhdane sind für die von Petkow verfolgte politische Linie mehr als inakzeptabel, denn die populistische Partei fordert den Austritt aus der EU und NATO.

Nach dem spätabendlichen Koalitionsrat am Mittwoch und die erklärte Unterstützung der BSP und Demokratischen Bulgarien für den Premierminister Kyrill Petkow schienen die Wogen geglättet. Die Frage ist, wer an die Spitze des Außenministeriums gestellt werden und wer die Ministerien für Regionalentwicklung und Sport übernehmen wird.

Es ist nicht unbedeutend, wer den Posten des ersten Diplomaten übernehmen wird. Die ehemalige Außenministerin Teodora Genchowska hat die prinzipielle Position Bulgariens zu Nordmazedonien entschieden verteidigt. Ob diese Linie jedoch mit dem nächsten Minister fortgesetzt wird, ist ebenso unklar wie die hypothetische Unterstützung von 12 Abgeordneten für die künftige Minderheitsregierung.

* Laut Trifonow unterscheide sich die Politik von Kyrill Petkow gegenüber Nordmazedonien von der des Außenministeriums, des Parlaments und der im Beirat des Präsidenten erklärten Politik. Ihm zufolge habe der Ministerpräsident führenden Politikern in Europa und der Welt versprochen, das Veto gegen Nordmazedonien aufzuheben und unternehme alles, um sein Versprechen zu erfüllen, obwohl die meisten Bulgaren wollen, dass Nordmazedonien erst dann Verhandlungen aufnimmt, wenn es das Nachbarschaftsabkommen zwischen den zwei Ländern von 2017 erfüllt. Damit verstoße Petkow grob und rücksichtslos gegen den unterzeichneten Koalitionsvertrag, was der eigentliche Grund für dessen Kündigung ist, behauptet Trifonow.

Übersetzung: Georgetta Janewa



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