Die Ergebnisse der jüngsten Parlamentswahlen verdeutlichen, dass sich die Bürger in ihrer Mehrheit eine neue Leitung des Landes wünschen. In den fast ein Jahr andauernden Protesten auf den Straßen und Plätzen der Großstädte des Landes sprachen sich die Menschen gegen den bestehenden Status quo aus. Keiner erwartete jedoch, dass der Showmaster Slawi Trifonow und seine Partei eine zweite Position erringen werden. Das war ein Ohrfeige für alle bisherigen politischen Spieler. Die neue Konstellation im Parlament wirft aber etliche Fragen auf. Wird man das nötige Gleichgewicht zwischen den schwindenden Haushaltseinnahmen und den wachsenden Ausgaben erreichen?
„Das Eis ist schon lange brüchig geworden“, meinte der Wirtschaftsexperte Dozent Dr. Grigor Sarijski in einem Interview für das BNR-Inlandsprogramm „Christo Botew“. „Im Wahlkampf wurden stets viele Versprechen gemacht, die in den letzten 11 Jahren nicht eingehalten wurden. Das Programm der regierenden GERB-Partei wurde nur drei Wochen vor den Wahlen vorgelegt, was, gelinde gesagt, absurd ist. Außerdem hätte es in ihren strategischen Dokumenten deutlich verankert sein müssen - beispielsweise im Haushaltsplan für dieses Jahr. Warum werden Versprechen gemacht, die nicht in den Parteidokumenten enthalten sind?“
Obwohl das Programm der GERB-Partei gut formuliert ist und Verwaltungskapazität zeigt, werden laut Dr. Sarijski „großzügige Versprechen gemacht, die nicht eingehalten werden können und nur auf dem Papier bleiben werden“. Weiter meint der Analyst:
„Wenn wir über die Wirtschaft sprechen, sehen wir Schlüsselparameter in ihrem Programm, wie die Anhebung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 60 Milliarden Euro (in der Größenordnung von 2020) auf 100 Milliarden Euro. Auch in der vorangegangenen Amtszeit wurde eine Anhebung des Mindest- und Durchschnittslohns bewirkt, obwohl sich die Menschen mit ihrem Geld kaum mehr Dinge leisten können. An der Zahl der Bürger, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, hat sich nichts geändert. Zwar wurde das Versprechen pro forma eingehalten, praktisch sind die Bulgaren jedoch nicht reicher geworden.“
Was das Programm der zweitplatzierten Partei „Es gib ein solches Volk“ des Showmasters Slawi Trifonow betrifft, werden die Akzente auf „angemessene Regierungsführung“, „nachhaltige Entwicklung“, „breit angelegte Strukturreformen“, „Start-ups mit Innovationspotenzial“, „Digitalisierung“ und ähnliches gesetzt. In ihrer Wahlplattform betont ihrerseits die linke Koalition „BSP für Bulgarien“, die die drittgrößte Fraktion im neuen Parlament bilden wird, eine gerechtere Besteuerung (Steuersenkungen für berufstätige Eltern und progressive Besteuerung), Neuberechnung der Renten, kostenlose Kindergartenplätze und Schulbücher sowie Förderung staatlicher Investitionen in wichtigen Wirtschaftssektoren. Die anderen Parteien heben außerdem Probleme in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und soziale Dienstleistungen hervor, die sie beheben wollen. Dr. Sarijski macht jedoch darauf aufmerksam, dass all diese Ziele nicht mit konkreten Zahlen hinterlegt werden:
„Der Trick besteht nicht nur darin, an die Macht zu kommen, sondern die Mittel zu haben, um sie ausüben zu können. In den elf Jahren, in denen GERB an der Macht war, hat sie eine wirklich gut geölte Maschine geschaffen, und jeder Neuling wird Schwierigkeiten haben, sie in Gang zu setzen und sie im Interesse seiner Ziele zu steuern. Der Kampf von „Es gibt ein solches Volk“ und der anderen Oppositionsparteien steht noch bevor. Unabhängig davon, welches Ressort sie übernehmen sollten, werden sie unweigerlich auf eine Wand passiven Widerstandes stoßen.“
Nach Prognosen des Finanzministeriums für das erste Quartal 2021 sind die öffentlichen Ausgaben um 2,2 Milliarden Lewa (ca. 1,1 Milliarden Euro) gestiegen. Laut Wirtschaftsexperte Dr. Sarijski hänge dies mit der Erhöhung der Renten, den Unterstützungsprogrammen und der Anhebung der Gehälter in der öffentlichen Verwaltung zusammen. Jeder, der an die Macht kommt, muss einen ausgewogenen Haushalt anstreben, doch momentan sinken die Einnahmen und die Ausgaben steigen, gibt der Wirtschaftexperte zu bedenken.
Nach einem Interview von Maria Mira Hristova, BNR-Inlandsprogramm „Christo Botew“
Redaktion: Darina Grigorowa
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
Fotos: BGNES
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